Recht: Die freie Zahnarztwahl darf nicht unlauter beeinflusst werden

 

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Dürfen Krankenkassen Ihren Versicherungsnehmern Zahnarzt-Empfehlungen und finanzielle Anreize bei der Wahl eines empfohlenen Behandlers in Aussicht stellen?

>> Die freie Zahnarztwahl darf nicht unlauter beeinflusst werden <<

Im Alltag erleben viele Zahnärzte, dass ihre Patienten von der privaten Krankenversicherung animiert werden, die angebotene zahnärztliche Behandlung bei einem anderen – vorzugsweise günstigeren – Zahnarzt durchführen zu lassen. Dagegen hat sich eine zahnärztliche Gemeinschaftspraxis mit eigenem Praxislabor zur Wehr gesetzt und nahm den privaten Krankenversicherer einer Patientin auf Unterlassung in Anspruch. Die Krankenversicherung hatte versucht, die Patientin nach der Einreichung des Heil- und Kostenplans durch finanzielle Anreize zu einem Zahnarztwechsel zu bewegen und sie damit in ihrer freien Zahnarztwahl zu hindern.

Beeinflussung durch die Krankenversicherung

Nachdem die Patientin den Heil- und Kostenplan der behandelten Gemeinschaftspraxis für eine geplante zahnärztliche Behandlung an die private Krankenversicherung übersandt hatte, bekam sie ein Schreiben ihrer Versicherung. Mit dem Schreiben forderte die Versicherung weitere Kostenvoranschläge an und schrieb darüber hinaus:

Schreiben der Krankenversicherung

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Die Gemeinschaftspraxis sah hierin ein wettbewerbswidriges Abfangen von Patienten und nahm die Krankenversicherung auf Unterlassung in Anspruch. In der ersten Instanz unterlag die zahnärztliche Gemeinschaftspraxis. Doch in der 2. Instanz gab das OLG Dresden ihr Recht. Das OLG Dresden sah in dem Verhalten der privaten Krankenversicherung ein wettbewerbswidriges Abfangen von Patienten und verurteilte die Krankenversicherung zur Unterlassung.


Die Entscheidung

Im Berufungsverfahren entschied das Oberlandesgericht (OLG) Dresden, dass es ein nach § 4 Nr. 4 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) unlauteres Abfangen von Patienten darstelle und das Recht auf freie Arzt- und Zahnarztwahl berühre, wenn ein Krankenversicherer seine Schlüsselposition dazu nutze, Patienten zu einem Wechsel zu Netzwerk-Zahnärzten des Krankenversicherers zu bewegen, indem er ihm eine Vergünstigung in Aussicht stelle.

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Zwischen der Gemeinschaftspraxis und dem Versicherungsunternehmen besteht ein Wettbewerbsverhältnis

Das OLG Dresden bejahte ein Wettbewerbsverhältnis zwischen der Gemeinschaftspraxis und der privaten Krankenversicherung. Dieses Wettbewerbsverhältnis muss für die Anwendbarkeit der Regelungen des UWG vorliegen. Nach Ansicht des Gerichtes besteht zwar zwischen den beiden kein unmittelbares Wettbewerbsverhältnis, wohl aber ein mittelbares. Die geschäftliche Handlung kann sich nämlich auch auf die Förderung des Absatzes oder Bezugs von Waren oder Dienstleistungen eines fremden Unternehmens beziehen.

Die Gemeinschaftspraxis und die Zahnärzte und -labore des Gesundheitsnetzwerks YYY sind auf demselben Markt tätig, da sie gleichermaßen zahnärztliche und labortechnische Dienstleistungen und Waren anbieten und diese in demselben Endverbraucherkreis absetzen. Wird ein Patient, der bereits einen Heil- und Kostenplan von der Gemeinschaftspraxis hat und sich demnach für eine Behandlung bei dieser entschieden hat, durch ein Anschreiben der privaten Krankenversicherung ermutigt, einen Zahnarzt des Netzwerks YYY zu wählen, berührt das die wettbewerbsrechtlich geschützten Interessen der Gemeinschaftspraxis.
Das Verhalten der verklagten Krankenversicherung stellt gezielte Mitbewerberbehinderung und einen unzulässigen Eingriff in das Recht auf freie Arzt- und Zahnarztwahl dar.

Hier ist das Schreiben der Krankenversicherung objektiv geeignet und vorrangig darauf gerichtet, den Absatz von Dienstleistungen der Zahnärzte im Netzwerk YYY zu fördern. Zugleich fördert die Krankenversicherung durch das Versprechen einer um 5 % erhöhten Kostenerstattung die Erhaltung und Erweiterung ihres eigenen Kundenstamms.

Das OLG Dresden hob hervor, dass sich die Krankenversicherung in dem vorliegenden Fall nicht darauf beschränkt, auf Veranlassung des Patienten hin, eine Zweitmeinung oder ein Gegenangebot anzubieten. Vielmehr wendete sich das Versicherungsunternehmen, noch vor Prüfung des Heil- und Kostenplans der Gemeinschaftspraxis, von sich aus, aktiv mit dem Angebot an den Patienten, dass dieser sich stattdessen auch bei einem ihrer Netzwerk-Zahnärzte behandeln lassen kann.

Sie beschreibt die Behandlung dieser Gesundheitspartner sodann auch noch als qualitativ besonders hochwertig mit preiswertem Zahnersatz und verweist insbesondere auf eine schnelle Terminvereinbarung und vergünstigte Konditionen für weitere Serviceleistungen. Darin liegt – würde dies der dem Netzwerk angehörende Zahnarzt selbst tun – eine verbotene aktive Werbung um Patienten, und damit ein berufs- und wettbewerbswidriges Verhalten. Geschieht dies durch den Krankenversicherer stellt sich dieses Verhalten ebenso als gezielte Mitbewerberbehinderung dar.

Das Gericht betont weiter, dass sich das Versicherungsunternehmen in einer vom Versicherungsnehmer als stärker empfundenen Position befindet, da es über den Umfang der Kostenübernahme aufgrund eines Heil- und Kostenplans entscheidet. Diese Position hat die Krankenversicherung ausgenutzt, um die Nachfrage auf ihre Gesundheitspartner umzulenken, noch dazu durch das Angebot finanzieller Anreize. Der Patient kann so nicht unbeeinflusst abwägen, ob ihm das Angebot des Gesundheitspartners ausreichende Veranlassung für einen Wechsel des Zahnarztes gibt. Vielmehr kann der nicht unerhebliche finanzielle Anreiz Einfluss auf die Arzt- bzw. Zahnarztwahl haben. Dadurch greift die Krankenversicherung unzulässig in die freie Arzt- und Zahnarztwahl des Patienten ein.

Praxistipp zur freien Arzt- und Zahnarztwahl

Private Krankenversicherer, die mit finanziellen Anreizen versuchen, Patienten zu einem Wechsel ihres Zahnarztes zu bewegen, handeln wettbewerbswidrig. Die Entscheidung des Gerichts macht deutlich, dass ein Verhalten, das sich für konkurrierende Zahnärzte als unlauter darstellt, auch für Versicherungsunternehmen als wettbewerbswidrig zu beurteilen ist. Zahnärzte müssen ein solches Geschäftsgebaren von privaten Krankenversicherern nicht dulden. Vielmehr bestehen Unterlassungsansprüche, wenn Krankenversicherer ihre Schlüsselposition ausnutzen, um Patienten noch vor Prüfung des Heil- und Kostenplans durch finanzielle Anreize zu einem Wechsel ihres Zahnarztes zu bewegen. Bei Kenntnis eines solchen Sachverhaltes lohnt es sich uns zu kontaktieren und gegen die private Krankenversicherung des Patienten vorzugehen.

 

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Autor: Rechtsanwältin Anna Stenger

Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht Anna Stenger, LL.M. hat sich mit Beginn ihrer Karriere auf den Bereich des Medizinrechts spezialisiert. Seit ihrer Zulassung zur Rechtsanwältin im Jahr 2008 berät sie vornehmlich Ärzte und Zahnärzte im Gesellschaftsrecht, zu Fragen der Compliance im Gesundheitswesen sowie im Werbe- und Berufsrecht. Darüber hinaus begleitet sie M&A Transaktionen von Unternehmen im Gesundheitsmarkt. Seit Februar 2015 verstärkt Frau Rechtsanwältin Stenger das Team von Lyck+Pätzold. healthcare.recht. Rechtsanwältin Stenger publiziert regelmäßig in Fachzeitschriften.

Hierbei handelt es sich um einen Gastbeitrag von LYCK+PÄTZOLD HEALTHCARE.RECHT, Fachanwälte für Medizinrecht.
Wir übernehmen daher keine Verantwortung und Gewähr für die Richtigkeit und den Inhalt.